Das Theaterstück „Die Koffer voll von Sehnsucht“ würdigt das Leben und Werk einer der bedeutendsten deutschsprachigen Dichterinnen: Mascha Kaléko. Diese Inszenierung erzählt die bewegende Lebensgeschichte Kalékos anhand biografischer Gedichte und Textfragmente. Eine fulminante Zeitreise durch das 20. Jahrhundert. Das einfühlsame Solo-Theaterstück ist voll Melancholie und Humor, von politischer Schärfe und mitreißender Poesie, die das Publikum in seinen Bann zieht.
Es ist der 20. Januar 1975. Zürich. Hier stochert die gefeierte Lyrikerin Mascha Kaléko trotzig in ihrem Abendessen, der Appetit ist ihr seit geraumer Zeit vergangen. Müßig wälzt sie sich im Bett. Die Erinnerungen wirbeln und lassen sie nicht schlafen.
Anne Struve spielt Mascha Kaléko. Sie nimmt das Publikum mit auf eine Reise durch das bewegte Leben der kessen Berliner Dichterin. Der Weg führt in das pulsierende Berlin der 20er und 30 Jahre, über das New York der Nachkriegszeit, ins krisenhafte Jerusalem und zurück in das Nachkriegseuropa. Das Schauspiel über den Lebensweg der Kaléko ist eine fulminante Zeitreise durch das rastlose 20. Jahrhundert. Es lädt zum Erinnern ein und zeigt Parallelen zur Gegenwart auf. Ein politisch hochbrisantes Stück.
Dieses Theaterstück ist eine Hommage an Kalékos Lebenswerk, erzählt ausschließlich durch ihre eigenen Worte. Biografische Gedichte und Brieffragmente aus Mascha Kalékos Nachlass (teils unbekannt) berichten von ihren leuchtenden Jahren, aber auch ihren Schicksalsschlägen, denen sie mit Sehnsucht und störrischem Humor begegnete. Die radikale Entscheidung, Kalékos Leben ausschließlich durch ihre literarischen Werke zu erzählen, verleiht dem Stück eine authentische und unvergleichliche Intimität.
Anne Struves Darbietung ist detailverliebt, authentisch und humorvoll. Eine Liebeserklärung an die Poesie Kalékos zeigt sie, wie zeitlos und lebendig die Literatur bis heute ist. Ein ergreifender Theaterabend für alle, die Kalékos Lyrik bereits in ihr Herz geschlossen haben, als auch jene, die zum ersten Mal in ihre Welt eintauchen.
Mascha Kaléko avancierte in den frühen 1930er Jahren zu einem strahlenden Stern am Himmel der Berliner Literaturszene. Ihr Name wurde zum Synonym für Melancholie und spitzbübischer Ironie, die in ihren Gedichten zu einem außergewöhnlichen Ausdruck fanden. Im Berlin der frühen 30er Jahre wurde Sie auf einen Schlag Bestsellerautorin, ihr erster Gedichtband rangierte auf der Verkaufsliste gleich nach Goethe. Gemeinsam mit Kästner, Ringelnatz, Tucholsky, Annemarie Haase und anderen Künstler*innen verkehrte sie im legendären Romanischen Café, wo sich die kreativen Köpfe dieser Zeit trafen.
Doch das Schicksal sollte eine Wendung nehmen: Als scharfsinnige Denkerin mit einer Zunge so spitz wie ihre Feder, sah sich Kaléko gezwungen, Deutschland zu verlassen. Ihr Weg führte hinaus in die Welt, wo sie zeitlebens mit Verlust ihrer Heimat rang.
Kaléko verhandelt alltägliche, bürgerliche Themen wie die Kindheit, die große und die kleine Liebe, oder die Sehnsucht beim Gedanken an das Gestern und Morgen. Vereint in spielerischer Sprachkunst, berühren ihre Gedichte tief und lassen das Herz leicht werden. Einst als „Gebrauchslyrik“ verhöhnt, gilt ihr Werk heute als hohes Kulturgut. Lange vergessen, leben die Gedichte Kalékos nun wieder auf. Zeitlos schön. Wie die Umarmung eines verloren geglaubten Freundes.
Anne Struve hat den Soloabend „Die Koffer voll von Sehnsucht“ Mascha Kaléko gewidmet. Aus unzähligen Gedichten und Brieffragmenten entwickelt sie eine Biografie, die ausschließlich aus Zitaten besteht. Der gewagte Schritt erweist sich als glückliche Entscheidung. Keinen Moment wirkt der Soloabend aufgesetzt, alles scheint wie aus einem Guss zusammengefügt. Struve begibt sich ohne Wenn und Aber in die Rolle der Schriftstellerin, wirkt mit ihrer Mimik, die zwischen ganz unterschiedlichen Gefühlsmomenten permanent wechseln, authentisch. Sie lebt diese Rolle, die von Schicksalsschlägen, humorvollen Sentenzen und Beschreibung der Zeitereignisse berichtet.
Für Anne Struve spielen im Programm aktuelle Bezüge zu Krieg und Migration eine wesentliche Rolle. Die Parallelen zum Heute sind augenscheinlich.
Die Reise durch das Leben der Autorin fordert vom Publikum rund 100 Minuten volle Aufmerksamkeit, das dafür literarische Einblicke nonstop erhält und nicht eine Minute Langeweile spürt.
04.12.2023 / von Klaus-Peter Voigt